Könnte ein körpereigener Stoff unser Gedächtnis schützen, das Immunsystem verjüngen und unsere Zellkraftwerke stärken? Genau das legen aktuelle Studien über Spermidin nahe – ein spannendes Molekül, das aktuell von der Altersforschung heiß diskutiert wird.
Was ist Spermidin überhaupt?
Spermidin ist ein sogenanntes Polyamin, das natürlicherweise in fast allen Körperzellen vorkommt. Es unterstützt wichtige Prozesse wie:
- Zellteilung und Wachstum
- DNA-Stabilität
- Autophagie – den körpereigenen „Reinigungsprozess“ der Zellen
Mit zunehmendem Alter nimmt die körpereigene Produktion von Spermidin ab – was laut Forscher*Innen zu einer Vielzahl altersbedingter Prozesse beitragen könnte. Interessanterweise haben Hundertjährige oft wieder höhere Spermidinwerte im Blut als 70- bis 90-Jährige (Madeo et al., Cell Metabolism, 2018).
Spermidin & Alzheimer – Hoffnung für das Gehirn?
Eine Alzheimer-Erkrankung beginnt schleichend – oft schon Jahre vor den ersten Symptomen. Die gute Nachricht: Genau in diesem Frühstadium scheint Spermidin einzugreifen zu können.
Was sagen die Studien?
- In einer großen Bevölkerungsstudie (SHIP-Trend, über 650 Personen) zeigte sich: Je höher der Spermidinspiegel im Blut, desto gesünder war das Gehirn. Vor allem das wichtige Gedächtniszentrum, der Hippocampus, war bei Teilnehmer*Innen mit viel Spermidin besser erhalten (Schwarz et al., eBioMedicine, 2024).
- In Tierversuchen mit Alzheimer-Mäusen wurde gezeigt: Eine Spermidin-Supplementierung konnte die Ablagerung von Amyloid-Beta reduzieren, einem der Hauptverursacher von Alzheimer. Auch entzündliche Prozesse im Gehirn gingen zurück (Lövblad et al., Journal of Neuroinflammation, 2022).
Gibt es auch Studien am Menschen?
Ja! Eine Pilotstudie der Universität Innsbruck konnte zeigen, dass ältere Menschen durch eine spermidinreiche Ernährung ihr Gedächtnis verbessern konnten – insbesondere bei leichten kognitiven Beeinträchtigungen (Wirth et al., Cell Reports Medicine, 2021).
Spermidin & das Immunsystem – Verjüngung von innen?
Unser Immunsystem altert mit uns. Das bedeutet: Wir werden anfälliger für Infektionen, Krebs und verlieren die Fähigkeit, effektiv auf Impfungen zu reagieren.
Hier setzt Spermidin an. In einer viel beachteten Studie zeigte sich:
- Alte T-Zellen, die mit Spermidin behandelt wurden, gewannen ihre ursprüngliche Funktion zurück. Sie konnten sich wieder besser teilen und Krankheitserreger bekämpfen (Puleston et al., Nature Cell Biology, 2020).
In einem Mausmodell konnte Spermidin sogar die Wirkung moderner Krebsimmuntherapien verstärken, indem es das Energielevel und die „Fitness“ der T-Zellen erhöhte (Zhou et al., Nature, 2023).
Spermidin & Mitochondrien – Hilfe für unsere Zellkraftwerke?
Mitochondrien sind die „Kraftwerke“ unserer Zellen. Ohne sie gäbe es keine Energie. Doch auch sie altern – mit weitreichenden Folgen für unsere Gesundheit.
Studien zeigen:
- Spermidin stimuliert die sogenannte Mitophagie – eine spezielle Form der Autophagie, die gezielt kaputte Mitochondrien entfernt (Eisenberg et al., Nature Medicine, 2016).
- In menschlichen Nervenzellen aus Stammzellen erhöhte Spermidin die ATP-Produktion (Energie), stabilisierte das Membranpotenzial und verringerte oxidativen Stress, also schädliche Sauerstoffmoleküle, die Zellstrukturen angreifen (Carillo et al., Cells, 2024).
🥦 In welchen Lebensmitteln steckt Spermidin?
Spermidin ist vor allem in folgenden Lebensmitteln enthalten:
- Weizenkeime
- Sojabohnen
- Reifer Käse
- Pilze
- Brokkoli
- Hülsenfrüchte
- Reiskleie
Allerdings: Die enthaltene Menge ist stark schwankend, je nach Reifegrad und Verarbeitung. Daher setzen viele Studien auf standardisierte Spermidinpräparate, meist aus Weizenkeimen extrahiert.
Fazit – Nahrungsergänzung mit Potenzial?
Spermidin ist kein Wundermittel. Aber: Die bisherigen Studien zeigen vielversprechende Hinweise, dass es gleich mehrere zentrale Alterungsmechanismen positiv beeinflussen kann:
- Schutz vor Gedächtnisabbau (Alzheimer)
- Verjüngung des Immunsystems
- Stärkung der Zellkraftwerke (Mitochondrien)
- Förderung der Autophagie (Zellreinigung)
Quellen
- Schwarz et al. (2024). eBioMedicine, https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2024.105183
- Wirth et al. (2021). Cell Reports Medicine, https://doi.org/10.1016/j.xcrm.2021.100479
- Puleston et al. (2020). Nature Cell Biology, https://doi.org/10.1038/s41556-020-0522-6
- Zhou et al. (2023). Nature, https://doi.org/10.1038/s41586-023-05832-3
- Eisenberg et al. (2016). Nature Medicine, https://doi.org/10.1038/nm.4222
- Carillo et al. (2024). Cells, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC11673406/